Hermann Hesse

1
Mai
2014

Bitte

Wenn du die kleine Hand mir gibst,
Die so viel Ungesagtes sagt,
Hab ich dich jemals dann gefragt,
Ob du mich liebst?

Ich will ja nicht, dass du mich liebst,
Will nur, dass ich dich nahe weiß
Und dass du manchmal stumm und leis
Die Hand mir gibst.

Hermann Hesse

1
Aug
2013

August

Das war des Sommers schönster Tag,
Nun klingt er vor dem stillen Haus
In duft und süßem Vogelschlag
Unwiederbringlich leise aus.

In dieser Stunde goldnen Born
Gießt schwelgerisch in roter Pracht
Der Sommer aus sein volles Horn
Und feiert seine letzte Nacht.

Hermann Hesse

11
Jun
2012

Der Liebende

Nun liegt dein Freund wach in der milden Nacht,
Noch warm von dir, noch voll von deinem Duft,
Von deinem Blick und Haar und Kuß - o Mitternacht,
O Mond und Stern und blaue Nebelluft!
In dich, Geliebte, steigt mein Traum
Tief wie in Meer, Gebirg und Kluft hinein,
Verspritzt in Brandung und verweht zu Schaum,
Ist Sonne, Wurzel, Tier,
Nur um bei dir,
Um nah bei dir zu sein.
Saturn kreist fern und Mond, ich seh sie nicht,
Seh nur in Blumenblässe dein Gesicht,
Und lache still und weine trunken,
Nicht Glück, nicht Leid ist mehr,
Nur du, nur ich und du, versunken
Ins tiefe All, ins tiefe Meer,
Darein sind wir verloren,
Drin sterben wir und werden neugeboren.

Hermann Hesse

8
Feb
2012

Abends

Abends gehen die Liebespaare
Langsam durch das Feld,
Frauen lösen ihre Haare,
Händler zählen Geld,
Bürger lesen bang das Neuste
In dem Abendblatt,
Kinder ballen kleine Fäuste,
Schlafen tief und satt.
Jeder tut das einzig Wahre,
Folgt erhabner Pflicht,
Säugling, Bürger, Liebespaare
und ich selber nicht?

Doch! Auch meiner Abendraten,
Deren Sklav' ich bin,
Kann der Weltgeist nicht entraten,
Sie auch haben Sinn.
Und so geh ich auf und nieder,
Tanze innerlich,
Summe dumme Gassenlieder,
Lobe Gott und mich,
Trinke Wein und phantasiere,
Daß ich Pascha wär,
Fühlen Sorgen an der Niere,
Lächle, trinke mehr,
Sage ja zu meinem Herzen
(Morgens geht es nicht),
Spinne aus vergangenen Schmerzen
spielend ein Gedicht,
Sehe Mond und Sterne kreisen,
Ahne ihren Sinn,
Fühle mich mit ihnen reisen
Einerlei wohin.

Hermann Hesse

23
Dez
2011

Schaufenster vor Weihnachten

Weihnachten ist eine Angelegenheit, von der ich eintlich nicht gerne
spreche. Einerseits weckt das schöne Wort so tiefe, heilige
Erinnerungen aus dem Sagenbrunnen der Kindheit, flimmert so magisch im
Scheine jener blonden Lebensmorgenfrühe und ist so durchstrahlt von
unzerstörbar heiligen Symbolen: Krippe, Stern, Heilandkind, Anbetung
der Hirten und Könige und Weisen aus dem Morgenland! Und andererseits
ist "Weihnachten" ein Inbegriff, ein Giftmagazin aller bürgerlichen
Sentimentalitäten und Verlogenheiten, Anlass wilder Orgien fuer
Industrie und Handel, grosser Glanzartikel der Warenhäuser, riecht nach
lackiertem Blech, nach Tannennadeln und Grammophon, nach übermüdeten,
heimlich fluchenden Austrägern und Postboten, nach verlegener
Feierlichkeit in Bürgerzimmern unterm aufgeputzten Baum, tausend
Dingen, die mir alle bitter verhasst und zuwider sind, und die mir alle
viel gleichgültiger und lächerlicher vorkämen, wenn sie nicht den Namen
des Heilands und die Erinnerungen unserer zartesten Jahre so furchtbar
missbrauchten.
Nun, sprechen wir also nicht von Weihnachten - es kämen dabei ja doch
lauter Verlegenheiten heraus, zum Beispiel, dass ich doch immer keine
Ahnung habe, was ich meiner Freundin schenken soll, und ob zwanzig
Mark fuer die Köchin richtig ist - auch und wenn ich doch den Freund S.
daran verhindern könnte, mir wieder ein so kostbares dabei so
jämmerlich unnützes Geschenk zu machen wie im letzen Jahr! Oder, falls
es sich nicht ganz vermeiden lässt, an die Weihnacht zu denken, so
lasst mich an jene wirkliche und echte Weihnachtsvorfreude denken, die
ich auch heute noch, als enttäuschter und einsamer Mensch, zu
empfinden vermag: an die Freude beim Herstellen jener Weihnachtsgeschenke,
die ich auch heute noch, wie einst in Knabenzeiten, für einige meiner
Freunde mit eigener Hand herzustellen gewohnt bin, Blätter mit
Landschaftsaquarellen und dergleichen Dinge.
Nun, trutz allen widerstreitenden und beklemmten Gefühlen muss ich
sagen: an manchen Abenden im Dezember, wenn es nach trüben,
verschleiertem Nachmittag in den Geschäftsstrassen aufzuflammen beginn,
wenn alle die farbigen und grellen Schimmer aus den Schaufenstern auf
den feuchten oder beschneiten Asphalt herausfallen und die Strasse
etwas festlich Belebtes bekommt, dann macht dieser verlogene, heftige
Weihnachtsbetrieb mit seiner lichten Aussenseite mir doch einigen Spass,
und ich kann dann eine Stunde lang gerade in jenem Stadtteil bummeln,
den ich sonst vermeide, und kann eine Stunde lang verloren und
gefesselt an den strahlenden Läden hinstreichen, ins Schaun verloren.

Hermann Hesse

23
Dez
2010

Für Anton

Weihnachten

Ich sehn' mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub', ich hab's einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
daß alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei's Sonnnenstrahl,
daß Regen, Schnee und jede Wolk,
daß all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muß gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön'
ein's jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd' still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, daß war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb' bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!

Hermann Hesse

001b

20
Sep
2010

Oft ist das Leben

Oft ist das Leben lauter Licht
Und funkelt freudefarben
und lacht und fragt nach denen nicht,
Die litten, die verdarben.

Doch immer ist mein Herz bei denen,
Die Leid verhehlen
Und sich am Abend voller Sehnen
Zu weinen in die Kammer stehlen.

So viele Menschen weiß ich,
Die irren leidbeklommen,
All ihre Seelen heiß ich
Mir Brüder und willkommen.

Gebückt auf nasse Hände
Weiß ich sie abends weinen,
Sie sehen dunkle Wände
Und keine Lichter scheinen.

Doch tragen sie verborgen,
Verirrt, und wissen’s nicht,
Durch Finsternis und Sorgen
Der Liebe süßes Licht.

Hermann Hesse

9
Apr
2010

WAS DER WIND IN DEN SAND GESCHRIEBEN

Dass das Schöne und Berückende
nur ein Hauch und Schauer sei,
dass das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
und viel andre wunderbare Sachen,
dass sie, kaum entdeckt, vergehen,
nur von Augenblickes Dauer,
nur ein Duft und Windeswehen,
ach, wir wissen es mit Trauer.
Und das Dauerhafte, Starre
ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
glänzendschwere Goldesbarre;
selbst die Sterne, nicht zu zählen,
bleiben fern und fremd, sie gleichen
uns Vergänglichen nicht, erreichen
nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
zugeneigt, stets nah am Sterben,
und das Köstlichste: die Töne
der Musik, die im Entstehen
schon enteilen, schon vergehen,
sind nur Wehen, Strömen, Jagen
und umweht von leiser Trauer,
denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
schwindet schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
ist dem Fließenden, dem Leben
treu und brüderlich ergeben,
nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
denen Tau am Blatt der Rose,
denen eines Vogels Werben,
eines Wolkenspieles Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweg geflogen,
denen eines Lachens Läuten,
das uns im Vorübergehen
kaum gestreift, ein Fest bedeuten
oder wehtun kann. Wir lieben,
was uns gleich ist, und verstehen,
was der Wind in den Sand geschrieben.

Hermann Hesse

23
Feb
2010

Glück

Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum glücklich sein
Und währe alles Liebste dein.

Solange du nach Verlorenem klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weißt du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziele mehr, noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,

Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz - und deine Seele ruht.

Hermann Hesse

5
Dez
2009

Stufen

Barockkirche-104

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andere, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse
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