Rainer Maria Rilke

25
Okt
2010

Herbsttag

Gronau-005

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rilke

3
Feb
2010

Geduld

Habe Geduld gegen alles Ungelöste in deinem Herzen und versuche, die Fragen selbst lieb zuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forsche jetzt nicht nach Antworten, die dir nicht gegeben werden können, weil du sie nicht leben kannst und es handelt sich darum alles zu leben. Lebe jetzt die Fragen - vielleicht lebst du dann allmählich ohne es zu merken in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke

20
Dez
2009

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt,
Und manche Tanne ahnt, wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird,
Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
Streckt sie die Zweige hin - bereit,
Und wehrt dem Wind und wächst entgegen
Der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke

11
Mrz
2009

Die Könige der Welt sind alt...

Die Könige der Welt sind alt
und werden keine Erben haben.
Die Söhne sterben schon als Knaben,
und ihre bleichen Töchter gaben
die kranken Kronen der Gewalt.
Der Pöbel bricht sie klein zu Geld,
der zeitgemäße Herr der Welt
dehnt sie im Feuer zu Maschinen,
die seinem Wollen grollend dienen;
aber das Glück ist nicht mit ihnen.
Das Erz hat Heimweh. Und verlassen
will es die Münzen und die Räder,
die es ein kleines Leben lehren.
Und aus Fabriken und aus Kassen
wird es zurück in das Geäder
der aufgetanen Berge kehren,
die sich verschließen hinter ihm.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

4
Mrz
2009

Quai du Rosaire

SANY07141
Brügge

Die Gassen haben einen sachten Gang
(wie manchmal Menschen gehen im Genesen
nachdenkend: was ist früher hier gewesen?)
und die an Plätze kommen, warten lang

auf eine andre, die mit einem Schritt
über das abendklare Wasser tritt,
darin, je mehr sich rings die Dinge mildern,
die eingehängte Welt von Spiegelbildern
so wirklich wird wie diese Dinge nie.

Verging nicht diese Stadt? Nun siehst du, wie
(nach einem unbegreiflichen Gesetz)
sie wach und deutlich wird im Umgestellten,
als wäre dort das Leben nicht so selten;
dort hängen jetzt die Gärten groß und gelten,
dort dreht sich plötzlich hinter schnell erhellten
Fenstern der Tanz in den Estaminets.

Und oben blieb? -- Die Stille nur, ich glaube,
und kostet langsam und von nichts gedrängt
Beere um Beere aus der süßen Traube
des Glockenspiels, das in den Himmeln hängt.


Rilke

18
Dez
2008

Advent

DSCF0035

Weißt du, ich will mich schleichen
leise aus lautem Kreis,
wenn ich erst die bleichen
Sterne über den Eichen
blühen weiß.

Wege will ich erkiesen,
die selten wer betritt
in blassen Abendwiesen
und keinen Traum, als diesen:
Du gehst mit.


Rilke aus: Advent, 1898

3
Dez
2007

Ich ließ meinen Engel lange nicht los

Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen,
und er eine zitternde Bitte bloß.

Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, -
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt...


Rainer Maria Rilke, 22.2.1898, Berlin-Wilmersdorf Kevelaer-213

16
Okt
2007

...

Die Blätter fallen,

fallen

wie von weit,

als welkten

in den Himmeln

ferne Gärten;

sie fallen

mit verneinender Gebärde.

Und

in den Nächten

fällt

die schwere Erde

aus allen Sternen

in die

Einsamkeit.

Wir alle fallen.

Diese Hand da fällt.

Und

sieh dir andre an:

es ist in

allen.

Und doch ist Einer,

welcher dieses Fallen

unendlich

sanft

in seinen Händen hält.


Rilke, Rainer Maria (1875-1926)

9
Jan
2007

Zum Abschied für Benno

Ich möchte jemanden einsingen,

bei jemandem sitzen und sein.

Ich möchte dich wiegen und kleinsingen

und begleiten schlafaus und schlafein.

Ich möchte der Einzige sein im Haus,

der wüßte: die Nacht war kalt.

Und möchte horchen herein und hinaus

in dich, in die Welt, in den Wald.

Die Uhren rufen sich schlagend an,

und man sieht der Zeit auf den Grund.

Und unten geht noch ein fremder Mann

und stört einen fremden Hund.

Dahinter wird Stille. Ich habe groß

die Augen auf dich gelegt;

und sie halten dich sanft und lassen dich los,

wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.

Rainer Maria Rilke

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Es war schön mit dir!

22
Sep
2006

Schicksal

Das Schicksal selbst ist wie ein wunderbares,
weites Gewebe, darin jeder Faden von einer unendlich
zärtlichen Hand geführt und neben einen anderen gelegt
und von hundert anderen gehalten und getragen wird.

Rainer Maria Rilke
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