Mascha Kaléko

18
Okt
2014

Herbst

Nun schickt der Herbst das Leuchten in die Wälder.
Grellbunte Brände lodern jedes Blatt.
Wie welkt das Herz dem wandermüden Fremden,
Der nur die Einsamkeit zur Heimat hat...

Schon fegt der Sturm den Sommer in die Gosse.
Im Park der Ahornbaum schreit blutigrot.
Der Regen weint die immergleichen Tropfen,
Und auf den Wiesen riecht es morsch nach Tod.

Da überfällt den Wandrer banges Schweigen
Und tiefes Weh um Schönheit, die verdirbt.
Herr, nimm mich fort aus diesem letzten Glühen
Und lass mich sterben, eh mein Sommer stirbt.

Mascha Kaléko

13
Dez
2012

Der Winter

Die Pelzkappe voll mit schneeigen
Tupfen,

behäng` ich die Bäume mit hellem
Kristall.

Ich bringe die Weihnacht und bringe
den Schnupfen,

Silvester und Halsweh
und Karneval.

Ich komme mit Schlitten aus Nord
und Nord-Ost.

- Gestatten Sie: Winter.
Mit Vornamen:
Frost.

Mascha Kaleko

30
Mrz
2011

Mein schönstes Gedicht

Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.

Mascha Kaléko

19
Jan
2011

Einmal sollte man…

Einmal sollte man seine Siebensachen
Fortrollen aus diesen glatten Geleisen.
Man müßte sich aus dem Staube machen
Und früh am Morgen unbekannt verreisen.

Man sollte nicht mehr pünktlich wie bisher
Um acht Uhr zehn den Omnibus besteigen.
Man müßte sich zu Baum und Gräsern neigen,
Als ob das immer so gewesen wär.

Man sollte sich nie mehr mit Konferenzen,
Prozenten oder Aktenstaub befassen.
Man müßte Konfession und Stand verlassen
Und eines schönen Tags das Leben schwänzen.

Es gibt beinahe überall Natur,
- Man darf sich nur nicht sehr um sie bemühen -
Und soviel Wiesen, die trotz Sonntagstour
Auch werktags unbekümmert weiterblühen.

Man trabt so traurig mit in diesem Trott.
Die anderen aber finden, daß man müßte…
Es ist fast so, als stünd man beim lieben Gott
Allein auf der schwarzen Liste.

Man zog einst ein Lebenslos „zweiter Wahl“.
Die Weckeruhr rasselt. Der Plan wird verschoben.
Behutsam verpackt man sein kleines Ideal.
- Einmal aber sollte man… (Siehe oben!)

Mascha Kaleko

1
Nov
2010

Seiltänzerin ohne Netz

Mein Leben war ein Auf-dem-Seile-Schweben.
Doch war es um zwei Pfähle fest gespannt.
Nun aber ist das starke Seil gerissen:
Und meine Brücke ragt ins Niemandsland.

Und dennoch tanz ich und will gar nichts wissen,
Teils aus Gewohnheit, teils aus stolzem Zorn.
Die Menge starrt gebannt und hingerissen.
Doch gnade Gott mir, blicke ich nach vorn.

Mascha Kaléko

19
Jul
2010

Kinder reicher Leute

Sie wissen nichts von Schmutz und Wohnungsnot,
Von Stempelngehn und Armeleuteküchen.
Sie ahnen nichts von Hinterhausgerüchen,
Von Hungerslöhnen und von Trockenbrot.

Sie wohnen meist im herrschaftlichen Haus,
Zuweilen auch in eleganten Villen.
Sie kommen nie in Kneipen und Destillen,
Und gehen stets nur mit dem Fräulein aus.

Sie rechnen sich jetzt schon zur Hautevolée
Und zählen Armut zu den größten Sünden.
- Nicht mal ein Auto . . .? Nein, wie sie das finden!
Ihr Hochmut wächst mit Pappis Portemonnaie.

Sie kommen meist mit Abitur zur Welt,
- Zumindest aber schon mit Referenzen -
Und ziehn daraus die letzten Konsequenzen:
Wir sind die Herren, denn unser ist das Geld.

Mit vierzehn finden sie, der Armen Los
Sei zwar nicht gut. Doch werde übertrieben - -.
Mit vierzehn schon! - Wenn sie doch vierzehn blieben.
Jedoch die Kinder werden einmal groß . . .

Mascha Kaléko

11
Mai
2010

Weil du nicht da bist

Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
All meine Einsamkeit auf dies Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.
Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.

Weil du nicht da bist, ist der Bäume Blühen,
Der Rosen Duft vergebliches Bemühen,
Der Nachtigallen Liebesmelodie
Nur in Musik gesetzte Ironie.

Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
Dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.

Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirm;
Den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
»Weil du nicht da bist« flüstert es im Zimmer.

»Weil du nicht da bist« rufen Wand und Schränke,
Verstaubte Noten über dem Klavier.
Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke,
Die Dinge um mich reden nur von dir.

Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen
Und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.
Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist.
Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.

Mascha Kaléko

18
Apr
2010

Katzenjammermonolog

Zuweilen möchte man aus sich heraus
und kann die Tür ins Freie doch nicht finden.
Dann schnüffelt man vielleicht mal nach den Gründen
und kriecht noch tiefer in sein Schneckenhaus.


Man müßte vieles tun und manches lassen,
und kann das eine wie das andere nicht.
Man denkt an manche unerfüllte Pflicht,
bis sich die Dinge dann mit uns befassen.


So vieles tut man rasch in Acht und Bann
mit Augen, die geschlossen schon erblinden.
Doch auch das Schicksal hat so dann und wann
auf unserem Konto Unterlassungssünden.


Mitunter scheints, man sei nun endlich da,
- Am Ziel, von dem man schüchtern nur geträumt hat -
Da plötzlich merkt man, daß man was versäumt hat,
Ein dummes Etwas nur. Beinah ... beinah.

Wenn man ein zweites Mal geboren würde,
Dann finge man das Leben anders an.
- Vielleicht, daß dann so manches anders würde...
(Vorausgesetzt, daß man vergessen kann-)

Daß man vergessen kann, was man erfahren.
Man horcht sehr oft zu viel in sich herum.
Am besten wär es, klug zu sein und stumm.
Man ist zuweilen alt mit zwanzig Jahren.


Mascha Kaléko

15
Mrz
2010

Das graue Haar

Ein welkes Sommerblatt fiel mir zu Füßen.
- Dein erstes graues Haar. Es sprach zu mir:
Mai ist vorbei. Der erste Schnee läßt grüßen.
Es dunkelt schon. Die Nacht steht vor der Tür.

Bald wird der Sturmwind an die Scheiben klopfen.
Im Lindenbaum, der so voll Singen war,
Hockt stumm und düster eine Krähenschar.
Hörst Du den Regen von den Dächern tropfen?

So sprach zu mir das erste graue Haar.
Da aber ward ich deinen Blick gewahr,
Da sah ich, Liebster, lächelnd dich im Spiegel.
Du nicktest wissend: Ja so wird es sein.

Und deine Augen fragten mich, im Spiegel,
läßt mich die Nachtigall im Herbst allein?
Und meine Augen sagten dir im Spiegel:
Kommt, Wind und Regen, kommt! Wir sind zu zwein.

Das graue Haar, ich suche es, im Spiegel.
Der erste Kuss darauf, dass war mein Siegel.

Maschka Kaléko

2
Mrz
2010

Nacht ohne Schlaf

Ich weiß, daß du jetzt wachst in deiner Nacht,
so wie ich schlaflos wache in der meinen.
Der gleiche Mond,der mich so kühl verlacht,
wird wohl auch jetzt dir Ruhelosem scheinen.

Ich weiß, das Leid, das ich dir nicht geklagt,
wird mir im stillen Vers zur Ruhe gehen.
So mag dein Weh, das du mir nicht gesagt,
dich tröstend wie ein Morgenwind umwehen.

Mascha Kaléko
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