3
Aug
2010

Von den Kindern

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit, und Er spannt euch mit Seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.
Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein;
Denn so wie Er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.


Khalil Gibran

2
Aug
2010

Spielen Kinder doch...

Sahst du in der Bahn auf Reisen:
Fährt dein Spiegelbild daneben
Draußen heil durch Fels und Eisen?
Was ist Schein und was ist Leben?

Wirrgespräch von Schizophrenen – ?
Und der Wirrsinn deiner Träume – ?
Warum suchen wir, ersehnen
Unterschiede, Zwischenräume?

Nach dem Nichts, dem Garnichts schielen
Alle, Freude, Gleichmut, Trauer.
Aus dem Garnichts lockt ein Schauer
So und so mit fremden Spielen.

Manchmal, zwischen trocknen Zeilen:
Barmt es, winkt es oder lacht es. –

Spielen Kinder doch zuweilen
Wundersames Selbsterdachtes.

Joachim Ringelnatz

30
Jul
2010

Offener Antrag auf der Straße

DSCF0274
Ich habe einen Frisiersalon.
Komm mit. Dort wollen wir knutschen.
Ich wollte, ich wäre ein Malzbonbon
Und du, du würdest mich lutschen.

Wir geben dem Lehrbub den Nachmittag frei
Und schreiben »Geschlossen bis sieben«.
Ich habe Rotwein im Laden und drei
Dicke Roßhaarsäcke zum Lieben.

Ich werde dich unentgeltlich frisiern
Und dir die Nägel beschneiden.
Du brauchst dich gar nicht vor mir geniern,
Denn ich mag dicke Fraun leiden.

Ich habe auch Schwarzbrot und Butter und Quark
Und außerdem einen großen - -
Donnerwetter, sind deine Muskeln stark!
Du, zeig mal: Was hast du für Hosen?

Wenn du dann fortgehst, bedanke dich nicht,
Sondern halt es mit meinem Freund Franke.
Der sagt immer, wenn man vom lieben Gott spricht:
»Wem's gut geht, der sagt nicht danke.«


Joachim Ringelnatz

20
Jul
2010

Guaranteed

Abendsonne-033

On bended knee is no way to be free
lifting up an empty cup I ask silently
that all my destinations will accept the one that's me
so I can breath

Circles they grow and they swallow people whole
half their lives they say goodnight to wive's they'll never know
got a mind full of questions and a teacher in my soul
so it goes...

Don't come closer or I'll have to go
Holding me like gravity are places that pull
If ever there was someone to keep me at home
It would be you...

Everyone I come across in cages they bought
they think of me and my wandering
but I'm never what they thought
got my indignation but I'm pure in all my thoughts
I'm alive...

Wind in my hair, I feel part of everywhere
underneath my being is a road that disappeared
late at night I hear the trees
they're singing with the dead
overhead...

Leave it to me as I find a way to be
consider me a satelite for ever orbiting
I knew all the rules but the rules did not know me
guaranteed...

Eddie Vedder – Into The Wild

19
Jul
2010

Kinder reicher Leute

Sie wissen nichts von Schmutz und Wohnungsnot,
Von Stempelngehn und Armeleuteküchen.
Sie ahnen nichts von Hinterhausgerüchen,
Von Hungerslöhnen und von Trockenbrot.

Sie wohnen meist im herrschaftlichen Haus,
Zuweilen auch in eleganten Villen.
Sie kommen nie in Kneipen und Destillen,
Und gehen stets nur mit dem Fräulein aus.

Sie rechnen sich jetzt schon zur Hautevolée
Und zählen Armut zu den größten Sünden.
- Nicht mal ein Auto . . .? Nein, wie sie das finden!
Ihr Hochmut wächst mit Pappis Portemonnaie.

Sie kommen meist mit Abitur zur Welt,
- Zumindest aber schon mit Referenzen -
Und ziehn daraus die letzten Konsequenzen:
Wir sind die Herren, denn unser ist das Geld.

Mit vierzehn finden sie, der Armen Los
Sei zwar nicht gut. Doch werde übertrieben - -.
Mit vierzehn schon! - Wenn sie doch vierzehn blieben.
Jedoch die Kinder werden einmal groß . . .

Mascha Kaléko

15
Jul
2010

Storch

Abendsonne-014
Das ist der vielgereiste Tourist
Herr Storch, der heimgekehrte,
Mit langen stolzen Schritten mißt
Des Daches First der Werthe.

Er trägt, wie’s Wandrerart gebot,
Ein weißes Blousenhemde
Nebst hohen Stiefeln von Juchten roth,
Und preist die schöne Fremde:

»Da wären wir wieder, da wohnen wir
Grad’ über dem Stall der Rinder.
Prophet in der Heimat, bin ich hier
Das Spiel der Bauernkinder.

In Rom wohnt’ ich auf dem Vatikan,
Sah wandeln den Papst im Garten,
Da wuchsen, seht eure Kürbiss’ an,
So groß der Orangen Arten.

Vom Rhein war böse Post gerad’,
Der Papst in Sinnen verloren;
Ich gab ihm einen guten Rath,
Er mir den Orden vom Sporen.

Auch hatt’ er drob mir keinen Verdruß,
Als ich ihm in einem Sitze
Vor Durst aussoff den Tiberfluß,
So groß ist dort die Hitze.

Am Aetna schnell vorüber ging’s,
Zwei sah ich um Schwefel streiten;
Ich schaute rechts, ich schaute links,
Es stank auf beiden Seiten.

Als über das blaue Meer ich zog,
Da flaggten mir alle Schiffe,
Ihr Donner zum Ehrengruß mir flog
Weithin an Gestad’ und Riffe.

In Syrien fand ich ein irres Heer,
Verhungernd, versprengt in der Wüste;
Ich flog vor ihm durch des Sandes Meer
Als Führer zu Mizraims Küste.

Da lag der Feldherr todeskrank,
Zu Ende mocht’ es eilen;
Des Vetters Ibis Kunst sei Dank,
Die mich gelehrt, ihn zu heilen.

Mit weißem Bart der alte Pascha
Zum Großfeldscher mich ernannte,
Gab mir zu Lehn das Nilland da
Und was drin kroch, schwamm, rannte.

Auf Pyramiden, bei fürstlicher Kost,
Durft’ ich in Herrlichkeit thronen;
Mir huldigten Völker aus Süd und Ost,
Wie Göttern der Pharaonen.«

Den Reisebericht indessen erklärt
Frau Storchin den Nachbarinnen:
»Am Nil hat er ein Würmlein verzehrt,
Den Tiber – sah er rinnen.«

Anastasius Grün

11
Jul
2010

Abseits

Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.
Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen.
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen,
Die Vögel schwirren aus dem Kraut -
Die Luft ist voller Lerchenlaut.

Ein halbverfallen, niedrig Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen,
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

Kaum zittert durch die Mittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten.
-Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.

Theodor Storm

(1848)

26
Jun
2010

Mondnacht

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis' die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff
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