3
Mrz
2009

Nur dich

Der Himmel trägt im Wolkengürtel
den gebogenen Mond.

Unter dem Sichelbild
will ich in deiner Hand ruhn.

Immer muß ich wie der Sturm will,
bin ein Meer ohne Strand.

Aber seit du meine Muscheln suchst,
leuchtet mein Herz.

Das liegt auf meinem Grund
verzaubert.

Vielleicht ist mein Herz die Welt,
pocht -

und sucht nur dich -
wie soll ich dich rufen?

Gottfried Benn

25
Feb
2009

Das Märchen vom Reichtum und der Not

Es waren einmal Bruder und Schwester:
Der Reichtum und die Not;
Er schwelgte in tausend Genüssen,
Sie hatte kaum trocken Brot.

Die Schwester diente beim Bruder
Viel hundert Jahre lang;
Ihn rührt' es nicht, wenn sie weinte,
Noch wenn sie ihr Leiden besang.

Er fluchte und trat sie mit Füßen,
Er schlug ihr ins sanfte Gesicht;
Sie fiel auf die Erde und flehte:
"Hilfst du, o Gott, mir nicht?"

Wie wird das Lied wohl enden?
Das ist ein traurig Lied!
Ich will's nicht weiter hören,
Wenn nichts für die Schwester geschieht!

Das ist das Ende vom Liede,
Vom Reichtum und der Not:
An einem schönen Morgen
Schlug sie ihren Bruder tot!



Adolf Glaßbrenner

13
Feb
2009

Frühlingsgedicht

Herz, mein Herz, sei nicht beklommen
und ertrage dein Geschick.
Neuer Frühling gibt zurück,
was der Winter dir genommen.

Und wie viel ist dir geblieben,
und wie schön ist doch die Welt!
Und mein Herz, was dir gefällt,
alles, alles darfst du lieben!


Heine, Heinrich (1797-1856)

14
Jan
2009

An mein Kind

Dir will ich meines Liebsten Augen geben

Und seiner Seele flammenreiches Glühn.

Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn

Verschloßne Tore aus den Angeln heben.



Wirst ausziehn, das gelobte Glück zu schmieden.

Dein Weg sei frei. Denn aller Weisheit Schluß

Bleibt doch zuletzt, daß jedermann hienieden

All seine Fehler selbst begehen muß.



Ich kann vor keinem Abgrund dich bewahren,

Hoch in die Wolken hängte Gott den Kranz.

Nur eines nimm von dem, was ich erfahren:

Wer du auch seist, nur eines - sei es ganz!



Du bist, vergiß es nicht, von jenem Baume,

Der ewig zweigte und nie Wurzeln schlug.

Der Freiheit Fackel leuchtet uns im Traume -

Bewahr den Tropfen Öl im alten Krug!


Mascha Kaléko

30
Dez
2008

Annas Lieblingslied für Huby

Haus am See

Hier bin ich gebor'n und laufe durch die Straßen!
Kenn die Gesichter, jedes Haus und jeden Laden!
Ich muss mal weg, kenn jede Taube hier beim Namen.
Daumen raus ich warte auf 'ne schicke Frau mit schnellem Wagen.
Die Sonne blendet alles fliegt vorbei.
Und die Welt hinter mir wird langsam klein.
Doch die Welt vor mir ist für mich gemacht!
Ich weiß sie wartet und ich hol sie ab!
Ich hab den Tag auf meiner Seite ich hab Rückenwind!
Ein Frauenchor am Straßenrand der für mich singt!
Ich lehne mich zurück und guck ins tiefe Blau,
schließ die Augen und lauf einfach gradeaus.

Und am Ende der Strasse steht ein Haus am See.
Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg.
Ich hab 20 Kinder meine Frau ist schön.
Alle kommen vorbei ich brauch nie rauszugehen.

Ich suche neues Land
Mit unbekannten Strassen, fremden Gesichtern und keiner kennt meinen Namen!
Alles gewinnen beim Spiel mit gezinkten Karten.
Alles verlieren, Gott hat einen harten linken Haken.
Ich grabe Schätze aus im Schnee und Sand.
Und Frauen rauben mir jeden Verstand!
Doch irgendwann werd ich vom Glück verfolgt.
Und komm zurück mit beiden Taschen voll Gold.
Ich lad' die alten Vögel und Verwandten ein.
Und alle fang'n vor Freude an zu weinen.
Wir grillen, die Mamas kochen und wir saufen Schnaps.
Und feiern eine Woche jede Nacht.

Und der Mond scheint hell auf mein Haus am See.
Organgenbaumblätter liegen auf dem Weg.
Ich hab 20 Kinder meine Frau ist schön.
Alle kommen vorbei ich brauch nie rauszugehen.

Und am Ende der Strasse steht ein Haus am See.
Organgenbaumblätter liegen auf dem Weg.
Ich hab 20 Kinder meine Frau ist schön.
Alle kommen vorbei ich brauch nie rauszugehen.

Hier bin ich gebor'n, hier werd ich begraben.
Hab taube Ohr'n, nen weißen Bart und sitz im Garten.
Meine 100 Enkel spielen Cricket auf'm Rasen.
Wenn ich so daran denke kann ich's eigentlich kaum erwarten.

Am-Teich-032

18
Dez
2008

Advent

DSCF0035

Weißt du, ich will mich schleichen
leise aus lautem Kreis,
wenn ich erst die bleichen
Sterne über den Eichen
blühen weiß.

Wege will ich erkiesen,
die selten wer betritt
in blassen Abendwiesen
und keinen Traum, als diesen:
Du gehst mit.


Rilke aus: Advent, 1898

28
Nov
2008

Kompliziertes Innenleben

Hinter jedem Abschied steht ein Warten.
Wenn dein Schritt verhallt ist, sehn ich mich.
Wenn Du kommst, ist jeder Tag ein Garten.
– Aber wenn du fort bist, lieb ich dich...

Manchmal seh ich auf zu Sternmillionen.
Ob das Glück stets hinter Wolken liegt?
Ach, ich möchte in den Nächten wohnen,
wo kein "morgen" um die Ecke biegt.

Kommst du, sehn ich mich nach tausend Dingen,
wächst der Abgrund zwischen dir und mir,
Spür ich altes Fernweh in mir klingen.
- Aber wenn du fort bist, gilt es dir.

Unser Schicksal lauert hinter Bergen.
Schönes Jenseits, das wir nicht verstehn.
Unsre Großen gleichen noch den Zwergen,
Und nichts bleibt uns als empor zusehn.

Gibt es Träume, die noch nicht zerrissen,
Gibts ein Glück, das hielt, was es versprach?
Ach, wir Dummen werden's niemals wissen.
Und die Klugen forschen nicht danach...

Mascha Kaleko

29
Jul
2008

Der Pilger mit dem schleppenden Hinterbein

Ein kleiner Käfer krabbelte mühsam auf steinigem Weg. Es waren viele Hindernisse auf seiner Straße. Strohhalme und sonstige schwer zu bewältigende Gegenstände. Es war recht anstrengend. Fliegen konnte er nicht. Es war ein Krabbelkäfer. Zudem war sein linkes Hinterbein verkümmert - schon von Geburt an. Er schleppte es nach. Es war ein trauriger Fall. Aber er pilgerte tapfer weiter. Käfer gehen und wandern nicht. Sie pilgern. Das ist ein großer Unterschied.


"Gehen Sie doch aus dem Wege!" schrie eine Hummel, namens Summser, den Pilger an und brummte böse. "Strolcht so was auf der Straße herum und stört achtbare Damen, die sich auf den Blumenmarkt begeben!"

"Entschuldigen Sie", sagte der Pilger mit dem schleppenden Hinterbein, "ich muss pilgern, ich bin ein Krüppel." Er wies mit dem Fühlhorn auf das verkümmerte Hinterbein.

"So, so", sagte Frau Summser mitleidig, "dann ist es ja etwas anderes. Das habe ich nicht gesehen. Ich war so eilig. Wenn man heutzutage nicht sehr zeitig an die Blumen kommt, ist alles vergriffen. Die Konkurrenz ist sehr groß. Aber warum müssen Sie den pilgern? Wäre es mit Ihrem Bein nicht besser, Sie würden zu Hause bleiben? Sie müssten heiraten. Dann haben Sie wenigstens Ihre regelmäßigen Mahlzeiten."

"Nein, ich muß pilgern", sagte der Pilger mit dem schleppenden Hinterbein. "Ein alter Käfer, den ich wegen meines Leidens konsultierte, sagte mir das. Er sprach von der Religion des heiligen Skarabäus und sagte, ich müsse das Rad des Lebens suchen. Das ist ein sehr alter Glaube und ein großer Trost für arme Krabbelkäfer."

"Und was hat man davon?" fragte Frau Summser. "Es ist doch gewiß viel vernünftiger, rechtzeitig auf den Markt zu kommen."

Der kleine Käfer zog das verkrüppelte Bein mit einer zuckenden Bewegung an den Körper, so daß es nicht mehr zu sehen war. "Man kann ein Rosenkäfer werden", sagte er geheimnisvoll.

"Ist das ein lohnender Beruf?" fragte Frau Summser.

Sie war eine überaus praktische Hausfrau. Ihre Honigtöpfe waren unübertroffen und bekannt im ganzen Umkreis eines Insektenflugs.

"Man glänzt dann wie flüssiges Gold, und man kann fliegen. Man ruht in den Rosen und atmet ihren Duft."

Frau Summser wurde hierdurch an Ihren Markt erinnert. "Jetzt muß ich mich wirklich beeilen", sagte sie, "die Konkurrenz ist eine zu große heutzutage. Jedenfalls wünsche ich Ihnen alles Gute."

Der Pilger mit dem schleppenden Hinterbein pilgerte weiter. Über den Weg kam ein Wagen gefahren.

Das ist das Rad des Lebens, dachte der Pilger mit dem schleppenden Hinterbein und hastete darauf zu.

Das Rad ging über ihn hinweg.

Auf dem Weg blieb nichts als eine formlose Masse.

Zur selben Stunde kroch im sonnigen Süden ein kleiner Rosenkäfer aus dem Ei. Ganz zuerst betastete er mit dem Fühlhorn sein linkes Hinterbein. Er wußte selbst nicht, warum er das tat. Das linke Hinterbein war gesund und glänzte wie flüssiges Gold. Es war fast noch schöner und glänzender als die anderen Beine.

Die Rosen dufteten.

Das Rad des Lebens ging weiter.


Manfred Kyber 1880 - 1933
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